Die Entwicklung von Sportpsychologie im Fußball selbst schreitet immer weiter voran. Es wird nicht nur intensiv geforscht, sondern auch flächendeckend praktisch gearbeitet. Eine Vorreiterrolle hat hier zum Beispiel der Fußballverein RB Leipzig. Dort werden sowohl die Profis als auch das Nachwuchsleistungszentrum sportpsychologisch betreut. Im Nachwuchsbereich leisten sogar vier Sportpsychologen in Vollzeit hervorragende Arbeit. Vorrangig geht es dabei darum, den Spielern Möglichkeiten aufzuzeigen, bessere Fußballer zu werden.
In der Öffentlichkeit kommt die Sportpsychologie meist nur zur Sprache, wenn irgendwelche Probleme auftauchen – wenn eine Fußballmannschaft in einer Krise steckt, wenn es private Tragödien gibt oder ähnliches. Auch ich erhalte häufiger Anfragen zu Interviews. Zuletzt sollte ich beispielsweise Stellung beziehen, wie Torwart Sven Ulreich mit seinem Patzer im Champions League Halbfinale gegen Real Madrid umgehen solle. Da ich nicht weiß, was Ulreich von der Persönlichkeitsstruktur her für ein Typ ist, hätte ich nur vage Aussagen treffen können. Zudem wird der FC Bayern von einem renommierten Sportpsychologen betreut. Sven Ulreich ist also gut versorgt. Daher habe ich mich dagegen entschieden, ein Interview zu geben. Momentan äußern viele Fußball-Experten ihre Meinung zu dem dramatischen Finalverlauf für Torhüter Loris Karius. Immer häufiger wird dabei thematisiert, dass sportpsychologische Betreuung im Fußball vor allem langfristig und wie oben beschrieben zur Leistungsoptimierung weiter ausgebaut werden sollte. Dies ist zwar eine langsame, aber dennoch positive Entwicklung in der öffentlichen Wahrnehmung von Sportpsychologie im Fußball.
Hier das Interview mit mir zum Anschlag auf den BVB-Bus (t-online.de):
Psychologe: Das Spiel am Tag danach war ein Fehler
Von Guido Heisterkamp
Vor einem Jahr explodierten drei Sprengsätze am Bus von Borussia Dortmund. Manche Spieler erlitten ein Trauma und hatten lange Angst. Einige BVB-Profis leiden noch immer.
Sportpsychologe Christoph Kittler von der Humboldt-Universität zu Berlin erklärt im Gespräch mit t-online.de, welche langfristigen Folgen durch ein derart dramatisches Erlebnis entstehen können, wie ein solches Trauma therapiert werden kann und was eine Attacke – wie in Liverpool auf den ManCity-Bus – bei einem betroffenen Spieler wieder auslösen könnte.
Herr Kittler, war es rückblickend ein Fehler, das Spiel gegen Monaco nur einen Tag nach dem Attentat nachzuholen?
Christoph Kittler: Kurzfristig gesehen war es sicher ungünstig für die Leistungsfähigkeit der Mannschaft. Aus den psychologischen Folgen können ja auch physiologische Probleme entstehen. Viele Spieler werden wahrscheinlich weniger oder gar nicht geschlafen haben vor diesem wichtigen Spiel und waren dann nicht auf der Höhe. Aus dieser Sicht würde ich auf jeden Fall unterstreichen, dass das ein Fehler war. Aber aus der Ferne ist das nicht zu beurteilen.
Torwart Roman Weidenfeller hat Mitte März vor Gericht angegeben, dass er immer noch psychologische Hilfe in Anspruch nimmt. Wie sieht eine langfristige Aufarbeitung und Betreuung aus?
Ganz wichtig ist es zu erwähnen, dass das nicht mehr in den Bereich eines Sportpsychologen wie mich fällt. Wenn ein schwerwiegendes Trauma vorhanden ist, muss eine Traumatherapie durch einen Spezialisten durchgeführt werden – einen Psychotherapeuten. Da gibt es verschiedene Methoden, eine aktuelle ist die „EMDR“-Methode. Aber es ist sehr positiv, dass sich ein Spieler Hilfe holt und eine Betreuung stattfindet.
Wofür steht EMDR und wie funktioniert die Methode?
EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“. Dabei werden Traumata durch Bewegungen der Augen, die vom Therapeuten gelenkt werden, desensibilisiert und verarbeitet. Die Methode ist sehr gängig und wird zum Beispiel bei Bundeswehrsoldaten angewendet.
Wie lange kann so eine Therapie dauern?
Die Anwendungsdauer ist von der Stärke des Traumas abhängig. Das wird z. B. dadurch beeinflusst, wie nah die Spieler dran waren, ob sie verletzt wurden, was sie gesehen haben und wie sie individuell mit einer solchen Belastung umgehen können. Eine ambulante Therapie beinhaltet in der Regel um die 60 Sitzungen.
Fußball ist ein Mannschaftssport und die Chemie in einer Mannschaft ist enorm wichtig. Kann ein solch traumatisches Ereignis Risse ins Mannschaftsgefüge bringen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das zu einem Bruch innerhalb der Mannschaft geführt hat. Aber aus der Ferne lässt sich das nur vermuten. So ein Ereignis könnte eine Mannschaft auch zusammenschweißen.
Der Mannschaftsbus ist ein ganz elementarer und wichtiger Bestandteil im Alltag eines Fußball-Profis. Können durch die fortgesetzte Nutzung bei den BVB-Spielern immer noch traumatische Erinnerungen wiederbelebt werden?
Es war ungünstig, die Mannschaft in den ersten drei Tagen nach dem Anschlag wieder damit zu konfrontieren. Man sollte sich in diesem kurzen Zeitraum nicht erneut in diese Situation begeben. Aber aus psychologischer Sicht ist es mittel- und langfristig wichtig, um Ängste aufzulösen.
Können Sie das bitte genauer erklären.
Je öfter man sich in eine gleiche oder ähnliche Situation begibt und nichts passiert, desto schneller bauen sich die Ängste auch wieder ab. Wenn man beispielsweise einen Arachnophobiker mit einer Spinne konfrontiert, dieser sich dabei entspannen kann und merkt, dass nichts Negatives passiert, dann werden seine Ängste schrittweise abgebaut oder sogar gelöscht. Daher ist es eher positiv, zum Alltag zurückzukehren und den Mannschaftsbus damit wieder zu einem positiven Ort zu machen.
Was könnte eine Attacke wie in Liverpool bei den Spielern auslösen, wo der Bus von Manchester City mit Bengalos und Flaschen beworfen wurde?
Das ist natürlich nicht alltäglich und generell für jeden Menschen unschön. Wenn eine Flasche an einen Bus fliegt, kann der damit verbundene Krach die Erinnerungen an den Anschlag wieder hervorrufen und die Spieler negativ beeinflussen. So eine Situation wäre nach wie vor sehr ungünstig für die BVB-Profis, die damals im Bus saßen
Würde es auch schon reichen, diese Bilder im TV zu sehen?
Es könnte sein, dass Spieler anfangen zu denken, dass man in einem Bus nicht sicher ist. Aber eigentlich müssten die Spieler schon mit im Bus von ManCity gesessen haben, damit so ein Trauma wieder aktuell wird.